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gender*bildet - Netzwerkstelle für Genderforschung und -lehre

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Sprache bei gender*bildet

Sprachhandeln bei gender*bildet

Wir verstehen Gender in allen Dimensionen als sozial hergestellt. Sprache spielt in diesem Verständnis eine zentrale Rolle: Sie schafft Identitäten und Existenzmöglichkeiten. Deswegen bildet sie ein wirkmächtiges Fundament gesellschaftlicher Machtverhältnisse – was nicht zuletzt durch die in Teilen heftig geführten Debatten um "Sprachpolizei" und "Cancel Culture" belegt wird, die sich auch als reaktionäres Moment in Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs lesen lassen. Nicht zufällig laufen sie parallel (und sind zum Teil eng verknüpft) mit den Debatten um rassistische, ableistische, klassistische usw. Sprachverwendung, in denen unterschiedliche Personen des öffentlichen Lebens irritierenderweise immer wieder auf ihr vermeintliches Recht auf diskriminierendes Sprechen pochen.

Seit vielen Jahren lassen sich im deutschen Sprachgebrauch in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen äußerst dynamische Veränderungen genderbezogener Formulierungen (je nach Ziel der sprachlichen Intervention „Gendern“ oder auch "Entgendern") beobachten. Angefangen von Doppelnennungen in der politischen Kommunikation („Bürgerinnen und Bürger“) bereits im 15. Jahrhundert über die äußerst erfolgreiche Sprachintervention des Binnen-Is („LeserInnen“) der 1980er Jahre (Christoph Busch und Luise F. Pusch, 1981) und Partizipialformen („Hörende“) hin zu derzeit sich etablierenden und zugleich heftigem Widerstand ausgesetzten, genderinklusiven Formen wie (dynamischem) Gender-Gap (Stud_entinnen) und (dynamischem) Asterisk (Doz*entinnen) (Hornscheidt, 2010) finden wir inzwischen vielfältige Formen gendersensibler, -gerechter oder -inklusiver Sprache vor. Ziel dieser unterschiedlichen Entwürfe ist immer, von patriarchaler Gewalt betroffenen und diskursiv ausgeschlossenen Lebensrealitäten (1) Repräsentation zu verschaffen. Zugleich kann Sprache strategisch genutzt werden, um neue Re_präsentationsformen zu schaffen und bestehende Machtstrukturen herauszufordern. Genau dies lässt sich als Kern der derzeit wahrnehmbaren Debatten um Sprache berschreiben.

Wir als Mitarbeit*erinnen von gender*bildet reflektieren unseren eigenen Sprachgebrauch und verständigen uns über solche Formen, die wir für unseren Arbeits- und Bildungsauftrag geeignet finden. Im Folgenden machen wir unseren Diskussionsstand transparent und geben einige (nicht umfassende) Beispiele und Begründungen. Wir verfolgen damit den Zweck, unsere eigene Sprachverwendung nachvollziehbar zu machen und Umsetzungsvorschläge anzubieten. Uns geht es darum, den Diskurs wachzuhalten und auf die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Auseinandersetzung hinzuweisen. Dabei beschränken wir uns nicht auf genderbezogene Sprechweisen sondern beziehen andere marginalisierte Positionierungen ein, die qua Zuschreibungen über die Machtstrukturen Rassismus, Antisemitismus, Klassismus, Ableismus etc. hervorgebracht werden. Wir verfolgen einen pluralistischen Ansatz und bevorzugen die Vorschläge von Betroffeninitiativen und sozialen Bewegungen. Einige Beispiele sollen dies illustrieren. Zusätzlich haben wir einige Literaturhinweise gesammelt, die in verschiedene Aspekte tiefer einführen.


Beispiele

Anrede und Ansprache

  • Wir nutzen neutrale Anreden, zum Beispiel "Guten Tag + Vor- und Nachname“
  • Wir verwenden Pronomen nur wenn sie bekannt sind, sonst verzichten wir darauf
  • Nach Möglichkeit machen wir unsere eigenen Ansprachewünsche transparent. Eine gute Möglichkeit dafür ist zum Beispiel die Email-Signatur oder eine Vorstellungsrunde.
  • Wir verwenden Eigenbezeichnungen und versehen sie ggf. mit Erläuterungen (z.B. verwenden wir den kurdischen Begriff "Jin" in unseren Texten im Original)

Verwendung von Sonderzeichen

  • Wir setzen mit dem communitybasierten und inzwischen weitverbreiteten sogenannten Gender*Sternchen Gender relevant und verzichten weitgehend auf genderneutrale Formulierungen.
  • In Substantiven setzen wir das Gender*Sternchen unmittelbar hinter dem (angenommenen) Wortstamm ein, um einer erneuten Binarisierung durch Setzung zweier Pole entgegenzuwirken (z.B. Stud*entinnen, Mitarbeit*erinnen, Profess*orinnen statt Student*innen etc.)
  • Alternativ gibt es die Option, analog dazu den Gender_Gap einzusetzen (z.B. Stud_entinnen).
  • Den Gender:Doppelpunkt (z.B. Stud:entinnen) nutzen wir nicht, da diese Form einerseits nicht aus der Community kommt und andererseits - anders als das Gender*Sternchen - nicht vielfältige Anschlussmöglichkeiten eröffnet.

Entgendern

  • Entgendern bietet sich zum Beispiel bei geschriebenen Texten an, da es die Verwendung von Screenreadern erleichtert.
  • Statt bei Artikeln z.B. der*die oder bei Adjektiven z.B. neues*neuer zu nutzen, kann das Neutrum gesetzt werden, z.B. ein(s)/1 neues Stud*entin.
  • Statt Partizipierungen können neutrale Adjektive gesetzt werden (z.B. statt "Hörende" "hörende Personen")

Weiteres

  • "Der Unterstrich kann auch in anderen Zusammenhängen angewendet werden, um mehrere Wörter miteinander – mit einer Lücke – zu verknüpfen und dadurch z.B. konventionalisierte Wahrnehmungen herauszufordern wie in re_produzieren: Hier deutet der Unterstrich an, dass jedes Produzieren ein Reproduzieren ist und gleichzeitig jedes Reproduzieren ein Produzieren. Der Unterstrich spiegelt dieses reflexive Verhältnis von Produktion und Re_produktion wider. Die Lücke durch den Unterstrich macht zugleich deutlich, dass beides trotzdem nie genau identisch ist." (AG Feministisch Sprachhandeln, 2015)
  • "Die Variante ‚sehen_hören‘ als kombinierte Verbform. Dies kann z.B. deutlich machen, dass Personen in verschiedenen Formen, mit Laut- oder Gebärdensprache, kommunizieren und dass beides nebeneinander und gleichzeitig der Fall sein kann, auch in Kombination miteinander und auch nie identisch." (AG Feministisch Sprachhandeln, 2015)


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1) Diese Gruppe wird jeweils durchaus unterschiedlich gefasst. Unserem Verständnis nach fallen darunter neben Frauen alle sich der LSBTIANQ+-Community zugehörig fühlende Personen. Das Akronym umfasst sowohl marginalisierte Gender als auch – in einer heteronormativ konstitutierten Gesellschaft mit Gender untrennbar verbundene – sexuelle Orientierungen, also Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter* und a_gender, a_sexuelle, a_romantische, sowie non-binäre und queere Personen. Das Plus eröffnet Anschlussmöglichkeiten für nicht benannte Identitäten sowie die Möglichkeit, sich nicht positionieren bzw. vereindeutigen zu müssen.

Weiterführende Verweise / Links / Literatur:

ADB Köln/ÖgG eV. (Hrsg.) “Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch." 2. ed. www.oegg.de/leitfaden-fuer-einen-rassismuskritischen-sprachgebrauch-2-aktualisierte-auflage/.

AG Feministisch Sprachhandeln. Was tun? Sprachhandeln – aber wie? W_Ortungen statt Tatenlosigkeit! hinkelstein sozialistische GmbH, 2015. https://feministisch-sprachhandeln.org/   .

Arndt, Susan, und Nadja Ofuatey-Alazard (Hrsg.) Wie Rassismus aus Wörtern spricht - (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv Deutsche Sprache. Unrast, 2021.

Hornscheidt, Lann, und Ja’n Sammla. Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich gendergerecht? – Praxishandbuch Gender und Sprache. w_orten & meer, 2021.

hornscheidt, lann. feministische w_orte. ein lern-, denk- und handlungsbuch zu sprache und diskriminierung, gender studies und feministischer linguistik. Brandes & Aspel, 2012.

Latkes*Berlin. “Juden Gendern.” 25 Okt. 2020, latkesberlin.wordpress.com/2020/10/24/juden-gendern/.

Leon und Vincent, Hosts. Cancel Culture. https://cancelculture.podigee.io/   .

Minzgespinst. "Die Frau als politische Kategorie – (k)ein Sternenhimmel." 8. Dez 2020, https://minzgespinst.net/sternenhimmel/   .

---. "FLINTA* – Potenzial und Grenzen." 1. Dez 2021, https://minzgespinst.net/flinta/   .

---. "Geschlechterneutrale Sprache und Autismus." 24. Mai 2021, https://minzgespinst.net/geschlechterneutrale-sprache-autismus/   .

Nichtbinär-Wiki. "Pronomen." https://nibi.space/pronomen   /.

Obulor, Evein (Hrsg.) Schwarz wird groß geschrieben. &Töchter, 2021.

Pusch, Luise. Das Deutsche als Männersprache. Suhrkamp, 1991.

Steinfeldt-Mehrtens, Eddi. "Hä? Was heißt denn: Genderdoppelpunkt?" Missy Magazine. 8. März 2021, https://missy-magazine.de/blog/2021/03/08/hae-was-heisst-denn-genderdoppelpunkt/.   

Waldschmidt,  Anne, und Sarah Karim (Hrsg.) „Was sind Disability Studies? Profil,  Stand und Vokabular eines neuen Forschungsfeldes." Handbuch Disability Studies. Springer VS, 2022.

Young, Iris Marion. "Five Faces of Oppression." Justice and the Politics of Difference, 39–65. Princeton UP, 1990.

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